Wir versenden auch an Ihre Lieben, Freunde, Bekannte. Gerade in dieser Zeit ist es doch schön, wenn man trotz der momentanen Lage eine kleine Aufheiterung bekommt, ob Geburtstagskind oder all jene, die zu Hause ausharren müssen
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Zirben - SCHUTZGEISTER EINER VERZAUBERTEN WELT
Nomaden aus Ostasien
Vor rund 12’000 Jahren, als das Eis der letzten Glazialperiode wegschmolz, begann in Sibirien und der Mandschurei eine Völkerwanderung, die in keinem Geschichtsbuch erwähnt wird. Damals machten sich auch die Samen der Zirben auf den Weg und zogen nach Westen. Von Wind, Tannenhähern, Eichhörnchen und anderen Hilfsgeistern transportiert, durchquerten sie den eurasischen Kontinent. Zuerst besiedelten sie die Karpaten - ein hufeisenförmiges Gebirgsmassiv, das sich von Serbien, Rumänien und der Ukraine bis nach Polen, Ungarn, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Österreich erstreckt. Später erreichten sie die Alpen und schließlich das Wallis. Hier siedelten sie sich an steilen Berghängen an und schreckten nicht vor jener unwirtlichen Gegend an der oberen Waldgrenze zurück, die Ökologen 'Kampfzone' oder 'Todeszone' nennen.
Die Arve (Pinus cembra), auch Zirbelkiefer genannt, verdient ihren Ehrentitel 'Königin der Alpen', denn sie ist eine kühne Kämpferin. Im Verlaufe der Jahrtausende haben diese Königinnen
entfesselten Naturgewalten getrotzt -Sommergewittern, Blitzschlägen und Schneestürmen. Dabei wurden Stämme angesengt oder ausgebrannt, Äste und Kronen abgebrochen oder verkrüppelt. Diese Wunden
vernarbten nach und nach und verliehen jeder Zirbe eine unverwechselbare Persönlichkeit. Weder Steinschläge noch Felsstürze und Erdrutsche vermochten die Überlebenskünstlerinnen aus ihrem extrem
exponierten Siedlungsgebiet zu vertreiben. Sie haben selbst das harsche hochalpine Klima überstanden - eisige Winter mit minus 50 Grad Celsius und heiße Sommer mit plus 40 Grad Celsius.
Prachtvoll sind sie, diese alpinen Bonsais. Diese grandiosen lebenden Skulpturen können bis zu tausend Jahre alt werden und strahlen eine geheimnisvolle Kraft und beeindruckende Würde aus. Man
darf ohne Übertreibung sagen, dass Zirben die Kronjuwelen in der alpinen Schatztruhe sind.
Zirben treiben ihre kräftigen Pfahlwurzeln in den Erdboden hinein, um an Wasser und kostbare Mineralsalze zu gelangen. Da sie mit Vorliebe in Steinschlaggebieten wachsen, lassen sich ihre Wurzeln einiges einfallen, um sich im steinigen Boden zu verankern. Sie dringen in dünne Felsrisse ein, werden kräftiger und spalten mit der Zeit selbst Felsblöcke. Sie umarmen Felsblöcke wie eine Mutter, die ihr Kind in den Armen hält. Zirben
sind ein integraler Bestandteil eines ganz besonderen Ökosystems. Sie leben in Harmonie mit Pilzen, Flechten, Insekten, Vögeln, Eichhörnchen, Mäusen und anderen kleinen Lebewesen. Ihre Kooperation mit dem elegant gefiederten Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes) ist ein Musterbeispiel einer geglückten Symbiose. Der Tannenhäher mit seinem kräftigen Schnabel stammt aus der Familie der Rabenvögel. Mit seinem Meißel hackt er im Herbst die Samenschalen der reifen Zirbenzapfen auf. In seinem unter der Zunge gelegenen Kehlsack kann dieser Vogel über hundert schmackhafte und kalorienreiche Zirbensamen (Zirbennüsse') verstauen. Dann fliegt er mit seiner Fracht das Gebiet rund um sein Nest ab und legt überall Samendepots an, um im harschen Gebirgswinter zu überleben. Ein Tannenhäher kann jährlich bis zu 100 000 Zirbensamen sammeln und entsprechend zahlreich sind seine Nahrungsspeicher. Als Nahrungsspeicher eignen sich Felsspalten besonders gut. Das wissen auch Eichhörnchen und Mäuse. Sie plündern im Winter die im Herbst mit viel Sorgfalt angelegten Samenspeicher. Manche Samen sind jedoch unauffindbar und entkommen sowohl den Tannenhähern und ihren Fressfeinden; sie keimen im Frühling, erstarken und senden ihre Wurzeln über Stock und Stein in den Boden hinein. So entstehen immer neue Zirben und wachsen einer ungewissen Zukunft entgegen. Nicht nur Tannenhäher, Eichhörnchen und Mäuse wissen die schmackhaften Samen der Zirben zu schätzen. Auch Menschen haben ihre Freude daran und legen Zirbenzapfen in Schnaps ein, um ein braunes Gebräu zu produzieren, das ihr Gemüt aufhellt.
Wirkungsvolle Heilkräfte Holz und Nadeln der Zirben enthalten eine hohe Konzentration an Pinosylvin, einer angenehm riechenden harzigen Substanz, die einen positiven Einfluss auf unsere Gesundheit ausüben kann. Zeitgenössische Forschungsresultate beweisen, dass es sehr gesund ist, in Wohnungen aus Zirbenholz zu leben und dass der Schlaf in einem Bett aus Zirbenholz besonders erholsam ist. Pinosylvin Kann Wetterfühligkeit, die sich bei Menschen in der Form von Kopfschmerzen, Migräne, Reizbarkeit und anderen Symptomen äußert, mindern. Pinosylvin kann die Pulsfrequenz senken und einen tiefen Schlaf fördern und die neuro-vegetative Erholung beschleunigen. Mit anderen Worten, Zirben sind wahre Schatztruhen, gefüllt mit geheimnisvollen Heilkräften.
Spirituelle Erfahrung
Wer über Stock und Stein klettert, in Gräben und Schluchten hineinsteigt und
schließlich in einem versteckten Zirbenhain ausruht, kann eine tiefe sinnliche und spirituelle Erfahrung machen. Man betrachtet die mit graugrünen Arvennadeln besetzten Äste, die sich sanft in
der Brise wiegen. Man bewundert die märchenhaft anmutenden Zirbenstämme mit ihren braunroten Wurzeln, die sich um Felsbrocken herumwinden, bevor sie im Waldboden versinken. Zirbe und Mensch
erzählen einander lautlos ihre Lebensgeschichte. In diesem Augenblick der Verzauberung begreift der Mensch rein intuitiv, dass die Gattung der Zirben viel älter ist als jene der Menschen und
deshalb Zugang zu einem Wissen hat, das wir nicht besitzen. Im Jahr 1625 schrieb der in Granada, Andalusien, lebende Poet Pedro Soto de Rojas: "... paraiso cerrado para muchos, jardines abiertos
para pocos" — Paradies, das vielen verschlossen ist; Gärten, zu denen wenige Menschen Zugang haben. Diese Beobachtung gilt auch für die geheimnisvolle Welt der Zirben.
© Text: Gottlieb Guntern, 2009 © Foto: Greta Guntern-Gallati, 2011
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